Interview: „Der Diskurs zu KI hat quasi-religiöse Züge“
18.08.2025
Glaubt die KI an Gott oder ist sie gar selbst eine Gottheit? Christoph Heilig beschäftigt sich aus theologischer Perspektive mit Künstlicher Intelligenz.
18.08.2025
Glaubt die KI an Gott oder ist sie gar selbst eine Gottheit? Christoph Heilig beschäftigt sich aus theologischer Perspektive mit Künstlicher Intelligenz.
Dr. Christoph Heilig leitet die Nachwuchsforschungsgruppe „Focalization in Early Christian Stories“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU und ist Mitglied im Jungen Kolleg der BAdW, wo er im Forschungsvorhaben „Theologie zwischen heiligen Schriften und KI-generierten Texten“ untersucht, welche Auswirkungen große Sprachmodelle auf die Hermeneutik und die Methodik der Interpretation des Neuen Testaments haben sowie welchen Beitrag die Theologie zum KI-Diskurs leisten kann. Zudem ist er Mitglied des Internationalen Doktorandenkollegs Philologie an der LMU und lehrt als Privatdozent an der Universität Basel.
Es ist die Rede von einer Superintelligenz, von Allwissenheit und Allmacht. In der Theologie gibt es einen großen Erfahrungsschatz, wie solche Kategorien missbraucht werden können, aber auch wie sich konstruktiv darüber nachdenken lässt.Dr. Christoph Heilig , Leiter die Nachwuchsforschungsgruppe „Focalization in Early Christian Stories“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU
© LMU/Stephan Höck
Warum beschäftigen Sie sich als Theologe mit KI?
Christoph Heilig: Der Diskurs zu KI hat längst quasi-religiöse Züge angenommen. Es ist die Rede von einer Superintelligenz, von Allwissenheit und Allmacht. In der Theologie gibt es einen großen Erfahrungsschatz, wie solche Kategorien missbraucht werden können, aber auch wie sich konstruktiv darüber nachdenken lässt. Deswegen denke ich, die Theologie ist hier insgesamt gefordert.
Inwiefern hat die Vorstellung von einer Superintelligenz religiöse Züge?
Das passt natürlich nicht zu einer Gottesvorstellung, wie wir sie im Judentum und Christentum haben oder im Islam mit Gott als Urgrund allen Seins, der jenseits des Universums steht. Aber es gibt unzählige andere religiöse Vorstellungen, etwa aus der griechisch-römischen Antike, wo Gottheiten für bestimmte Bereiche zuständig waren, die sehr viel mehr Teil des Universums sind.
Sie meinen, es herrscht die Vorstellung von einer KI als einer Art Gott?
Genau. Die Superintelligenz wird zu einer Gottheit. Und es entsteht eine mit diesem Gottesbild kohärente Ethik und Eschatologie, also Lehre von den letzten Dingen. Die Eschatologie ist das Entscheidende: Die Superintelligenz kann Forschung betreiben, zum Beispiel in der Medizin, kann selbstständig Raketen entwickeln, die Ressourcen aus dem All herbeischaffen, sich selbst programmieren und Quantencomputer bauen. Die Ansicht vieler in der KI-Industrie ist, dass dies dazu führen wird, dass man den Menschen digitalisieren kann.
Wie sollte das gehen?
Es wird versucht, Technik und Mensch zu kombinieren. Der Transhumanismus war früher eine Nischen-Ideologie, heute ist er in der KI-Industrie virulent. Der Mensch muss demnach transformiert werden in eine neue Gestalt. Im ersten Schritt durch das Austauschen von Körperteilen und durch Gehirnimplantate. Das endgültige Ziel ist dann, das menschliche Bewusstsein auf einen Computer zu überspielen und in die Cloud zu überführen. Dann brauchen wir gar keinen Körper mehr.
Dahinter liegt also eine Vorstellung von Unsterblichkeit?
Genau. Einer der einflussreichsten Gesundheits-Influencer im englischsprachigen Raum derzeit ist Bryan Johnson, ein Millionär, der sich das Ziel gesetzt hat, unsterblich zu werden. Inzwischen sagt er offen, dass er seinen gesunden Lifestyle führt, weil bald die Super-KI kommt, die uns in die Cloud beamen kann. Ihm geht es darum, das zu erleben und sich dafür würdig zu erweisen. Die Idee dahinter ist, dass die KI uns Menschen auch auslöschen könnte. Da sie so klug ist, weiß sie auch, was wir Menschen Schlechtes machen. Man hätte früher gesagt, das sind Heiligungsprozesse. Man findet das in der Geschichte des Christentums, wo Menschen versucht haben, sich Gott gegenüber besser darzustellen, etwa durch Askese. Oder durch Ablasshandel. Heute geschieht das dann durch Spenden, zum Beispiel an Firmen in der KI-Industrie.
Warum beschäftigt Sie das, ob Einzelne an diese Art der Unsterblichkeit glauben?
Ich halte das nicht nur auf einer individuellen Ebene für problematisch. Es herrscht die Vorstellung, dass man auf diese Art das ganze Universum in einen großen Supercomputer verwandeln und viele dieser digitalen Geistwesen kreieren könnte, die alle immer glücklich wären. Wenn dies mit einer Ethik der Glücksmaximierung verbunden wird, müssten die Menschen demnach alles daransetzen, dass es diese Superintelligenz gibt.
Der Punkt, wo die Theologie spätestens widersprechen müsste, ist, wenn dieses potenziell große Glück gegen das gegenwärtige Leid von tatsächlich lebenden Menschen aufgerechnet wird. Longtermism heißt diese Idee. Angesichts dieser Langzeitperspektive müssten bei Vertretern der protestantischen Ethik die Alarmglocken losgehen, weil bei ihr die individuelle Verantwortung des Menschen vor Gott so zentral ist, dass sich Menschenleben eben nicht auf diese Art und Weise hochrechnen lassen. Und wenn wir unser Handeln schon so radikal von bloßen Möglichkeiten abhängig machen, dass potenziell Millionen und Milliarden Menschenleben davon betroffen sind, dann darf man auch die Möglichkeit der Existenz Gottes zur Sprache bringen, finde ich. Und dann gelten für ethisches Handeln vielleicht ganz andere Grundsätze.
Es ist ganz eindeutig, dass die großen Sprachmodelle nicht weltanschaulich neutral sind.Christoph Heilig, Leiter der Nachwuchsforschungsgruppe „Focalization in Early Christian Stories“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU
Wir haben bislang von Ideen gesprochen, die rund um die KI-Industrie kursieren. Ändern denn auch die Sprachmodelle selbst durch ihre Textausgaben etwas daran, wie Religion erzählt wird und was erzählt wird?
Ich denke, die sogenannten „Reasoning“-Modelle sind bald so gut, dass sie bestehende religiöse Vorstellungen infrage stellen und ihre eigene Theologie entwickeln werden. Momentan ist die Richtung eher noch die von Religion hin zum Output der KI. Es ist ganz eindeutig, dass die großen Sprachmodelle nicht weltanschaulich neutral sind. Sie wurden trainiert mit dem Material, das wir alle ins Internet gestellt haben. Das sind bei den Sprachmodellen aus Amerika und Europa momentan christliche Texte.
Aber die großen globalen Player, auch aus China, wollen alle den globalen Markt erobern. Es wird also versucht, die Modelle so zu entwickeln, dass sie möglichst wenig anecken. Dabei werden unglaublich viele Vorentscheidungen getroffen. Das wird in der KI-Industrie aber sehr wenig reflektiert. Dort wird offenbar vorausgesetzt, zu wissen, was richtig und gut ist für die gesamte Menschheit.
Die Idee, dass es überhaupt einen kleinsten gemeinsamen Nenner und eine Ethik gibt, die alle für eindeutig richtig halten können, ist eine Illusion. Aber dafür gibt es kein Problembewusstsein.Christoph Heilig, Leitet der Nachwuchsforschungsgruppe „Focalization in Early Christian Stories“ an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der LMU
Sind Sie von der momentanen Entwicklung der KI also eher beunruhigt oder fasziniert?
Wenn man nicht fasziniert ist, dann hat man nicht klar genug hingeschaut. Es wird jeden Monat so viel Neues möglich, was zuvor unmöglich erschien. In der Geschichte war die Theologie bei technologischen Entwicklungen oft die Mahnerin, die versucht hat, den Fortschritt auszubremsen, weil sie daran nicht das Gute für den Alltag des Menschen erkannt hat, sondern nur auf das Heil des Menschen pochte. Aber eine weitere Konstante ist, dass Theologie besonders gut dort funktioniert, wo sie das Wohl des Menschen eben nicht aus den Augen verloren hat und schöpfungstheologisch argumentierend davon ausgeht, dass in dieser Welt viel Gutes möglich ist.
Ich denke, es würde gerade uns christlichen Theologinnen und Theologen gut anstehen, die wir von einer Religion ausgehen, die sagt „Am Anfang war das Wort“, zu erkennen und nicht allzu überrascht davon zu sein, dass mit Text die Welt gerade auf faszinierende Weise neu erschlossen und gestaltet werden kann.